Was muss ich zur Aktienrente wissen?

Deutsche Politikerinnen und Politiker diskutieren derzeit über eine kapitalgedeckte Aktienrente. Länder wie Schweden und Norwegen machen schon vor, wie das funktioniert. Wir erklären, was die Pläne für deine Rentenbeiträge bedeuten könnten – und warum du trotzdem besser nicht auf den Staat warten solltest, um für eine finanziell selbstbestimmte Zukunft Vermögen aufzubauen.

Aktienrente erklärt

Der Status Quo

Die Jungen zahlen für die Alten. So lässt sich das umlagefinanzierte gesetzliche Rentensystem zusammenfassen, das derzeit in Deutschland existiert. Als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer zahlst du automatisch einen Teil deines Einkommens in die gesetzliche Rentenkasse ein, aus der laufend die Altersbezüge der älteren Generation bezahlt werden. Bist du später selbst im Ruhestand, zahlt die junge Generation deine Rente. Dieses Geben und Nehmen, das auch Generationenvertrag genannt wird, funktioniert aber nur, wenn es erheblich mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler als Rentnerinnen und Rentner gibt. In Deutschland geht diese Rechnung schon länger nicht mehr auf: Allein im Jahr 2021 flossen laut der Deutschen Rentenversicherung rund 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenversicherung – zusätzlich zu den Beiträgen. Dies war nötig, um das Loch zu stopfen, das durch den demografischen Wandel entsteht. Wir werden durch Fortschritte in der Medizin und gute Lebensführung statistisch älter als frühere Generationen und beziehen somit länger Rente. Außerdem werden weniger Kinder als früher geboren. In den kommenden Jahren gehen ferner die sogenannten Babyboomer in Rente. Das Ergebnis: Immer weniger Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren. Was das für ein Land bedeutet, lässt sich in Japan beobachten. Dort altert die Bevölkerung noch schneller als in Deutschland und überlastet das Sozialsystem. In ihrer Not appellierte die Regierung daher schon im Jahr 2020 an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht mehr nur bis zum Alter von 60 oder 65 Jahren zu arbeiten, sondern bis zum 70. Lebensjahr.

Die Idee hinter der Aktienrente

Der Druck auf die Rentensysteme ist also immens. Für Erleichterung könnte die Aktienrente sorgen. Deren Grundidee ist simpel: Der Staat legt einen Fonds auf und investiert damit weltweit in Aktien. Die erwirtschaftete Rendite stockt dann die Rentenkasse auf. Wie das Modell im Detail in Deutschland aussehen soll, lässt die Bundesregierung bislang offen. Es könnte aber so funktionieren: Ein Teil deiner Rentenbeiträge wird künftig automatisch in dem neuen staatlichen Rentenfonds beziehungsweise Vorsorgefonds angelegt. Der Staat investiert dein Geld dort gemeinsam mit den Rentenbeiträgen anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dein Beitrag würde bei der Aktienrente zwischen Fonds und Rentenkasse aufgeteilt werden. Ein Rechenbeispiel: Wenn du im Monat 1.000 Euro brutto verdienst, fallen bei dem aktuellen Rentenbeitragssatz von 18,6 Prozent 186 Euro für die Rentenversicherung an. Die Hälfte davon übernimmt dein Arbeitgeber. Jede Seite zahlt also 93 Euro. Künftig würden zwei Prozentpunkte in Aktien und ähnliche Anlagen gesteckt werden. Es würden also nur noch 166 Euro direkt an die Rentenkasse gehen. Die restlichen 20 Euro werden vom Staat investiert.

Vorbild für dieses Modell war lange Schweden: Dort zahlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon seit den 1990er-Jahren 2,5 Prozent ihres Bruttogehalts automatisch in einen staatlichen Fonds ein. Nur wer sich dort für einen privaten Fonds entscheidet, ist von dieser staatlichen Altersvorsorge ausgenommen. Anders sieht es in Norwegen aus. Hier speist sich der Fonds aus Einnahmen aus dem Verkauf von Öl, nicht aus Versicherungsbeiträgen.

Die Mehrheit der Besitzer aktienbasierter Geldanlagen meint, dass die gesetzliche Rente durch einen Staatsfonds stabilisiert wird. Bei den Geringverdienern sind 66 Prozent dieser Ansicht, in der mittleren Einkommensklasse 62 Prozent und in der höheren Einkommensklasse 68 Prozent.

Chancen und Risiken

Der Deal ist einfach: Die Aktienrente ermöglicht dir den Zugang zum Kapitalmarkt. Wobei du bedenken solltest: Eine breit gestreute Kapitalanlage an den Aktienmärkten ist auch ohne Aktienrente in der Regel schon mit kleinen Geldbeträgen zwischen 10 und 25 Euro im Monat möglich.

Befürworterinnen und Befürworter argumentieren zudem, dass die Aktienrente die Chancen des Kapitalmarkts nutzt, um das gesetzliche Rentensystem dauerhaft zu entlasten. Der wichtigste Vorteil dabei: Ein Fonds, der ausreichend hohe Renditen erwirtschaftet, wäre durch den Zinseszinseffekt eine wichtige Finanzspritze für unser Rentensystem. Denn es gilt zu bedenken: Im aktuellen umlagefinanzierten Rentensystem wird keine Rendite erwirtschaftet. Einnahmen von Beitragszahlenden werden im Rahmen der gesetzlichen Rente an rentenbeziehende Personen weitergegeben. Eine staatliche Aktienrente hingegen würde die Chancen auf eine Rendite ermöglichen. Damit genügend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzahlen, könnte in Deutschland das sogenannte Opting-out-Modell gelten: Wer nicht in den staatlichen Vorsorgefonds einzahlen will, muss sich aktiv dagegen aussprechen.

Der Kapitalmarkt ist allerdings Kursschwankungen unterworfen – und der Staat kann viele Kritikerinnen und Kritiker nicht als erfahrener Fondsmanager überzeugen. Sollten die Aktieninvestments nur wenig Rendite abwerfen oder sogar Verluste schreiben, könnte der Rentenversicherung später viel Geld fehlen. Zudem sind die Deutschen bei Aktieninvestments traditionell eher zögerlich: Viele Deutsche scheuen die Börse, mit der Aktienrente würde man sie allerdings dazu bewegen, einen Teil ihres Einkommens anzulegen. Expertinnen und Experten empfehlen daher, dass jede und jeder selbst entscheiden sollte, ob sie oder er in den staatlichen Rentenfonds investiert oder lieber privat vorsorgt.

Auch die Zusammenstellung des Aktienkorbs könnte für Konflikte sorgen. Wer entscheidet, wie viel wo angelegt wird? Geht es dabei hauptsächlich um eine hohe Rendite? Oder sollten auch Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards beachtet werden? Und ist der Staat wirklich ein kompetenter Vermögensverwalter? Viele Menschen haben daran Zweifel. Laut Altersvorsorge-Index Frühjahr 2022 des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) trauen 51 Prozent der Befragten dem Staat die notwendige Expertise beim Fondsmanagement nicht zu.

Geringverdienende Aktionäre zweifeln an der staatlichen Expertise als Fondsmanager und der erforderlichen Standfestigkeit der Politik bei der Verwendung der Mittel eines Staatsfonds.

Zugleich stehen weitere Befürchtungen im Raum, die sich aktuell ohne ein konkreteres Modell für die deutsche Aktienrente noch nicht beantworten lassen:

  • Besteht ein Rechtsanspruch auf die erzielten Renditen, oder kann der Staat die Gewinne bei Bedarf auch anderweitig im Haushalt einsetzen?
  • Wenn der Aufbau eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens viel Zeit kostet, die Babyboomergeneration aber in den kommenden Jahren die Auszahlung aus der Rentenkasse spürbar nach oben treibt, bedeutet dies nicht eine immense Doppelbelastung für die derzeit arbeitenden Beitragszahlerinnen und -zahler?
  • Ist eine private Altersvorsorge, die ebenfalls in Aktienfonds investiert, nicht flexibler, individueller und im Zweifel auch rechtssicherer als die staatliche Vorsorge?

Also: Abwarten und Tee trinken?

ines ist klar: Das deutsche Rentensystem braucht eine Reform. Die staatliche Aktienrente hat gute Argumente auf ihrer Seite, doch bis sie das Rentensystem wirklich entlastet, könnte es zehn bis zwanzig Jahre dauern. Daher ist es ratsam, dass du deine Vorsorge selbstbestimmt in die Hand nimmst. Dafür bietet sich neben einer betrieblichen Altersvorsorge sowie Lebens- und Rentenversicherungen zum Beispiel auch ein Sparplan auf börsengehandelte Aktienindexfonds oder aktiv gemanagte Fonds an. Damit sparst du unabhängig von Versicherungen und Staat für deinen Lebensabend. Und du entscheidest selbst, wie viel Geld du investierst und welche Anlagestrategie du verfolgst. Dabei zahlst du entweder regelmäßig ein – beispielsweise 50 Euro im Monat – oder investierst einen einmaligen Betrag. Wichtig ist, dass du dich bedarfsgerecht zu Chancen und Risiken beraten lässt und dass dein individuelles Risikoprofil berücksichtigt wird, denn die Altersvorsorge ist ein komplexes und hochgradig individuelles Thema. Eine Beratung ergibt vor der ersten Entscheidung für bestimmte Vorsorgeformen Sinn – und dann immer wieder, wenn sich die Lebensumstände ändern. Grundsätzlich gilt: Du solltest möglichst langfristig (zehn Jahre und länger) dabeibleiben und Fonds wählen, die breit gestreut in Aktien investieren.

Mehr gewusst: der norwegische Staatsfonds

In Norwegen ist der Aktienmarkt eine tragende Säule bei der Absicherung der Bevölkerung. Hier sorgt ein staatlicher Aktienfonds namens Government Pension Fund Global dafür, dass Norwegerinnen und Norweger eine garantierte Rente von aktuell umgerechnet 1600 Euro monatlich erhalten und damit ihren hohen Lebensstandard auch im Alter halten können. Der Fonds wird aus Öleinnahmen des Landes gespeist und ist einer der größten Staatsfonds der Welt. 2021 erwirtschaftete der norwegische Fonds einen Gewinn von 1,58 Billionen Kronen (158 Milliarden Euro) und erreichte damit eine Rendite von 14,5 Prozent. Trotz steigender Gaspreise erwirtschaftete der Staatsfonds zwischen Januar und Juni allerdings in diesem Jahr einen Verlust von 14,4 Prozent, Grund dafür sei unter anderem die Inflation.

Größte Staatsfonds weltweit nach der Höhe des verwalteten Vermögens